
Wie webe ich einen roten Faden?
“Your text is brilliant, but badly organized.” – So kommentierte einst ein Amerikaner die Texte von Theodor W. Adorno. Adorno hatte wohl nicht hart genug an seinem roten Faden gearbeitet, und er hatte sicher auch gute Gründe, das nicht zu tun. Wenn wir Normalsterblichen einen Text schreiben, sind wir aber aufgerufen, diesen gut zu organisieren.
Im Idealfall ist ein Text so organisiert, dass jedes Element sich folgerichtig und gleichzeitig zwanglos aus dem letzten ergibt, dass abstrakt-theoretische Passagen und konkret-lebensnahe Beispiele sich in guter Dosierung abwechseln, dass es ab und zu auch verspielte Stellen und erholsame Momente gibt und dass sich am Ende ein rundes, stimmiges und überzeugendes Gesamtbild ergibt. Die besten Texte sind die, die sich so lesen, als hätte der Autor – mit seinem Argument vor Augen – sie mühelos in genau dieser Reihenfolge einfach so heruntergeschrieben.
Spoiler: Wenn ein Text sich so liest, dann ist das immer (ich wiederhole: immer) eine optische Täuschung. Wenn ein Text sich so liest, dann ist das vielmehr deswegen so, weil der Autor hart an seinem roten Faden gearbeitet hat.
Die Kunst, einen roten Faden zu weben, kann man lernen. Sie erfordert drei Dinge: erstens ein gewisses handwerkliches Können (Schreiben ist ein Handwerk), zweitens eine gewisse Sturheit und Unbeirrbarkeit des Autors, der seine Botschaft kennen und an den Mann oder an die Frau bringen wollen muss, und drittens ein gehöriges Maß an Einfühlung in den Leser, der geschickt geführt und in seinen Aufmerksamkeits- und Anspringbereitschaften abgeholt werden will.
Wer diese Kunst trainieren will, ist richtig im systemischen Schreibcoaching. Das ist ein Ansatz, den ich entwickelt habe am Schnittpunkt von wissenschaftlichem Schreiben und systemischer Beziehungsarbeit. Er ist radikal dialogisch gedacht, er versteht den Text als Beziehungsangebot und die Ausgestaltung des Textes als Beziehungsgestaltung. Er lehrt die Kunst, den Text vom Leser her zu denken, die Geduld, die dafür notwendige Arbeit zu leisten, und das Geschick, den roten Faden so zu weben, dass er gleichzeitig fest-unzerreißbar und ein bisschen brillant-schillernd ist.